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Paul Abraham Archiv: Im Exil
Als Komponist in den USA - mit Elan im Jahr 1941, danach die
Ernüchterung. Doch einige Schellacks erschienen.
LP „Polka Party“ mit „Tic-Tc-Toe“ Schellackplatte „Tic-Tc-Toe“ (1941)
Im USA-Exil versuchte Paul Abraham vergeblich, so wie in Europa als
Komponist erfolgreich zu werden. Er startete ungeheuer produktiv: Im Jahr
1941 verzeichnete der „Katalog der Copyright Einträge“ der Library of
Congress immerhin 41 Melodien von Abraham. Aber keine hatte wohl
durchschlagende Wirkung. Im Jahr 1942 wurden noch sechs Melodien, 1943
nur noch eine einzige registriert. Danach gibt es keine Eintragung mehr.
Übrigens sind unter den USA-Kompositionen nicht weniger als 11 Polkas zu
finden. Die einzige recherchierbare Abraham-Melodie („Tic tac toe“) auf einer
amerikanischen Nachkriegs-LP findet sich 1958 auf der Polka Party vom
Harry Harden Orchestra (Vocalion, VL 3612). 1941 hatte Harden auch die
„Tinkle Polka“ auf Schellack aufgenommen.
Der Titel „Tic-Tac-Toe“ findet sich unter diesem Namen übrigens nicht im
Copyright-Katalog. Alle dort ausgewiesenen Melodien finden Sie im
Originaleintrag in einer PDF hier. Eine Zeittafel der Eintrage gibt es hier.
„It Takes a kiss to catch a kiss“… sowie „Tinkle Polka“ mit Harry Harden
Digitalisiert sind zurzeit sieben Abraham-Schellacks zu finden. Paul Abraham
hielt sich in New York weitgehend an Künstler, mit denen er schon in der
Heimat zusammengarbeitet hatte. So schuf er zusammen mit dem 1939
exilierten Komponisten und Songtexter Emery H. Heim zahlreiche Lieder, wie
auch „Tic-Tac-Toe“ oder die „Tinkle Polka“. Heim hatte sich in den USA so
gut assimiliert, dass er sogar im 2. Weltkrieg im Dienste der US Army
komponierte. Er starb schon 1946 im Alter von nur 40 Jahren. Sein Nachlass,
der an die hundert Partituren, Notenblätter und Songmanuskripte umfasst,
liegt in der Charles E. Young Research Library der University of California in
Los Angeles.
„The Elbow Song“ mit Harry Harden „On the Broomstick“ mit Henri René
Die zur Zeit in digitalisierter Form greifbaren Schellackplatten aus den USA
haben der tschechisch-ukrainische Exilant Harry Harden sowie der
amerikanische Bandleader Henri René eingespielt. Beide leiteten ein eigenes
„Musette Orchestra“. Harden hatte mit seinem Orchester seit 1929 in Europa
unzählige Platten aufgenommen (auch damals schon mit Melodien von Paul
Abraham) und konnte seine Karriere als Bandleader nach seiner Flucht in die
USA fortsetzen. Henri René, in den USA geboren, hatte als Sohn deutsch-
polnischer Eltern unter seinem eigentlichen Namen Harald Manfred
Kirchstein in Berlin Musik studiert und arbeitete dann in den 1920er- und
1930er-Jahren als Komponist und Leiter eigener Ensembles (u.a. „Die
Goldenen Sieben“) in Berlin. 1937 musste er aufgrund der politischen
Umstände wieder in die USA zurückkehren. Dort nannte er sein Ensemble
„André Musette Orchestra“ oder „René Musette Orchestra.
Zweimal Henri René; „Crackerjack“… und „Over The Hilltops“
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Das wirft Fragen auf: Schellackplatte von 1941 mit Paul-
Abraham-Lied Känguruh, gesungen von Iska Geri
Im Dezember 1932 wurde Paul Abrahams Operette „Ball im Savoy“ in
Berlin uraufgeführt. Kurz danach musste der Komponist emigrieren, seine
Werke wurden im nationalsozialistischen Deutschland verboten.
Umso erstaunlicher, dass das Lied „Känguruh“ aus dieser Operette im
Dritten Reich überleben konnte. Die Sängerin und Parodistin Iska Geri
machte die Melodie, inklusive des Textes der ebenfalls verbotenen Dichter
Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda, zu ihrer Erkennungsmelodie und
nahm sie sogar 1941 auf Platte auf! Natürlich ohne die Namen der Schöpfer
zu nennen, sondern unter dem Urheber-Pseudonym „Gustav Thorlichen“.
Nun gab es in der Tat einen Deutschen namens „Gustav Thorlichen“, der
allerdings bereits 1933 vor den neuen Machthabern nach Argentinien
geflohen war und dort unter dem Namen Gustavo Thorlichen als Fotograf
und bildender Künstler erfolgreich wurde. Ein von ihm verfasster Bildband
über Argentinien wurde nach dem Krieg mit einem Vorwort von Jorge Luis
Borges veröffentlicht, was seinen Rang verdeutlicht. Eher unwahrscheinlich,
dass er von der Verwendung seines Namens auf der Schallplatte wusste.
Genauso unwahrscheinlich erscheint, dass es eine weitere Person dieses
Namens gab.
Vielleicht weiß ja ein Leser dieser Zeilen mehr und berichtet sein Wissen an
den Herausgeber.
Hier können Sie Iska Geri mit „Känguruh“ bei YouTube hören.
Erstaunlich ist übrigens auch, dass die Operette „Viktoria und ihr Husar“ am
10. April 1944 (!) im faschistischen Italien aufgeführt werden konnte -
allerdings nur, weil der Name des Komponisten verschwiegen und durch das
Pseudonym „Haios“ ersetzt wurde. Die Aufführung unter dem Namen
„Vittoria el il suo ussaro“ ist für den 10.4.1944 durch die „Compagnia di
operette Lombardia“ dokumentiert.
Im Exil: Abrahams Widmung an die Leser der Illustrierten
Kronen-Zeitung in Wien - PR für Märchen im Grand Hotel
Die erste Operetten-Uraufführun nach Paul Abrahams Flucht aus Deutschland
fand in Wien statt. Am 30. März 1934, also einen Tag nach der offiziellen
Uraufführung der Operette „Märchen im Grand Hotel“, veröffentlichte die
„Wiener Illustrierte Kronen-Zeitung“ einen musikalischen Gruß des Kompo-
nisten. Abraham-Experte Henning Hagedorn erläutert: „Das sind die ersten
vier Takte aus der Nummer 5 der Isabella ‚Ich wär' so gerne Königin‘. Die
Noten der Melodie und die Tonart entsprechen dem Klavierauszug, ebenso
die Dynamik pp für Pianissimo, auch der Text an dieser Stelle ‚Wo eine
schöne Frau regiert‘. Im Klavierauzug ist das Tempo an dieser Stelle mit
‚Ruhiger‘ angegeben, hier mit ‚Lángsam‘.
Anekdote rund um
Märchen im Grand Hotel
aus: Tiroler Anzeiger, Innsbruck.
Beilage „Weltguck“ vom 20. Juni
1934
Paul Abrahams „Registration Card“ in New York 1940
Nachdem Paul Abraham, aus Mexiko kommend, am 20.8.1940 in die USA
eingereist war, musste er sich an seinem neuen Wohnort New York registrieren
lassen. Er bezog ein Zimmer im Hotel Windsor, wo er bis zu seiner Einweisung
in die Psychiatrie 1946 blieb. Ein Dr. Edmund Parker, mit einer Adresse am
Broadway, wurde als Zeuge genannt, der jederzeit über Abrahams
Aufenthaltsort Auskunft geben könne.
Das Ensemble von Märchen im Grand Hotel, Wien 1934
…mit Paul Abraham (4.v.r.) und Theaterdirektor Otto Preminger (vorne)
1935 Programmzettel zur zweiten Aufführung von Ball im
Savoy in Wien
Während Paul Abraham seit Mitte 1933 in Deutschland geächtet war, konnten
seine Bühnenwerke wenigstens in Österreich weiter aufgeführt werden. Der
Ball im Savoy (im Dezember 1932 in Berlin uraufgeführt) war Ende 1933
zum erstenmal in Wien aufgeführt worden (im Johann-Strauß-Theater). Knapp
zwei Jahre später stand die Operette auf dem Programm des Städtischen
Theaters. Der abgebildete Programmzettel verrät nicht nur die Mitwirkenden,
sondern auch, welche Firmen die Requisiten beisteuerten und welche Betriebe
sich von einer Werbung im Theater Umsatz erhofften…
Los Angeles Times über Victoria and Her Hussard 1941 im
Manson Theater am Broadway in Los Angeles
Während Paul Abraham im US-Exil vergeblich auf eine Inszenierung seines
„Ball im Savoy“ am New Yorker Broadway hoffte, hatte seine erste
Erfolgsoperette „Viktoria und ihr Husar“ in Los Angeles am dortigen
Broadway Premiere. Die Los Angeles Times berichtet am 17.5.1941 über die
Aufführung von „Victoria and Her Hussar“ im Mason Theatre, Der
Rezensent lobt die „Musik mit ihren faszinierenden Rhythmen und eingän-
gigen Momenten“ und ist sowohl vom Stück als auch der Inszenierung
angetan. Die Victoria wurde gespielt von Vicki Campbell, die diese Rolle
schon zwei Jahre lang in London gespielt hatte.
Ob Paul Abraham anlässlich dieser Aufführung in Los Angeles war, ist nicht
überliefert. Wahrscheinlich hätte der Rezensent dies erwähnt.
Der aus Ungarn stammende Arthur Spitz hatte das Theater ab 1941 drei Jahre
lang gemietet, um dort „Operette zu populären Preisen“ zu präsentieren. Es
gab zwei Vorstellungen pro Tag, und in der Pause wurden Snacks verkauft.
Der Werbemanager des Hauses bezeichnete das Unternehmen als
„Woolworth der Operette“.
Das Mason Theatre in Los Angeles, wo 1941 Paul Abrahams „Victoria and
Her Hussar gespielt wurde.
Viktoria und ihr Husar: Erstmals in den USA schon 1939 in
St.Louis/Missouri
Im August 1939, als Paul Abraham im Pariser Exil weilte, fand in den USA
die erste - und bis 2014 auch einzige - amerikanische Erstaufführung einer
seiner Operetten statt. Die Municipal Opera in St.Louis/Missouri brachte das
Stück als Saisonabschluss heraus. In der Ankündigunganzeige im St.Louis
Globe-Democrat heißt es am 17.8.1939 unter anderem:
„Paul Abraham, einer der größten zeitgenössischen Operettenkomponisten für
die Bühne und die Leinwand, hat eine fesselnde Partitur mit beschwingten
Liedern geschrieben. Londoner Kritiker haben die Musik als eine Art
beschrieben, die "im Gedächtnis der Zuhörer verweilt".
Seien Sie der Erste! Besuchen Sie die Aufführung am Montagabend, damit
Sie der Erste in Amerika sein können, der den Nervenkitzel eines todsicheren
Smash-Hits mitnimmt. Ganz Europa hat "Victoria and Her Hussar" als Tophit
gefeiert. Der gesamte nordamerikanische Kontinent wird nach der
Eröffnungsvorstellung lautstarken Applaus und Jubel hören.“
Leider kam es nicht ganz so. „Victoria and Her Hussar“ kam zwar 1941 noch
einmal in Los Angeles zur Aufführung, danach aber nie wieder in den USA.
Und sein „Ball im Savoy“ feierte erst 2014 die amerikanische Uraufführung,
„Die Blume von Hawaii“ dann 2019 - beide in Chicago.
1935 Wien: Der „höflichste Komponist“ probt „Dschainah“
(Neues Wiener Journal, 21.12.1935)
Paul Abraham-Autograph 1933 in Budapest
September 1933: Paul Abrahams schönster Moment bei der
Premiere von „Ball at the Savoy“ in London
Zwei Tage nach der Premiere von „Ball at the
Savoy“ in London musste Paul Abraham
zurück nach Budapest. In einem
Zeitungsinterview schildert er seinen
schönsten Moment an diesem besonderen
Abend:
„Im zweiten Akt unseres Stücks gibt es ein
Lach-Couplé. Oszkár Dénes lachte die ganze
Zeit durch, dann wurde er von Rózsi Bársony
nachgemacht, dann von zehn, zwanzig,
Hunderten auf der Bühne. Das Lachen
schwoll immer mehr an, von der Bühne bis
zum Auditorium, und während die
Instrumente in der Band kicherten und
schrien, wurde schließlich das ganze große
Haus von dem Kichern überflutet.
In dem Moment, als das Lachen gleichzeitig
auf der Bühne und im Auditorium zu stürmen
begann, fing ich an zu weinen. Zuerst flossen
meine Tränen langsam, aber als alle vor und
hinter mir lachten, links und rechts, zitterte
ich fast vor Schluchzen ...
Warum ich geweint habe, was mir in den Sinn
gekommen ist? Alles. Meine Mutter in Pest;
die Margareten-Insel; unser Verein; die kleine
Kneipe in Buda; der Tisch in meinem
Kaffeehaus; die Handelsschule, auf die ich
gegangen bin; die Musikakademie ... in
London, Drury Lane ...“
Az Est Budapest, 16.9.1933
Hans Holt über die Dreharbeiten an Roxy und ihr
Wunderteam 1937
Hans Holt, Darsteller
des Jaci in „Roxy
und ihr Wunderteam“
berichtet in seinem
Memoiren „Jeder Tag
hat einen Morgen“
eine Anekdote über
die Dreharbeiten im
August 1937:
„Die erste Klappe für
Roxy und ihr
Wunderteam fiel eine
Woche später als
geplant. Und sie fiel
nicht in Budapest,
sondern in Keszthely
am Plattensee. Das
lustige
Aufeinandertreffen
zwischen der
Fußballmannschaft
und den Mädchen
vom Yachtklub führte
zu - na sagen wir
ruhig -chaotischen
Zuständen! Wir
mussten nämlich
schnell drehen. […] Aber schnell war nach den durchtanzten Nächten
schwer möglich. Die Produktion zahlte keine Diäten - »weil, bitte schön, am
Balaton ist alles ganz billig« -, aber dafür durfte jeder essen und trinken,
was er oder sie wollte. Das führte zu Gelagen von fast mittelalterlicher
Üppigkeit und zu einer bedauerlichen Ebbe in den Kassen der Firma.“
Bild: Hans Holt mit Rosy Barsony in der Wiener Bühnenfassung von „Roxy
und ihr Wunderteam“.
Während Paul Abraham in den USA in der Psychiatrie saß:
Triumphe bei den Triester Operettenfestspielen 1952/53/55
In Europa waren genauere Umstände des Exils Paul Abrahams unbekannt.
Noch während der Komponist in New York in dem damals sogenannten
„Irrenhaus“ in Creedmoor auf der „Station der Hoffnungslosen“ verbrachte,
gab es in Europa eine Renaissance seiner Werke. In Triest, bei einem der
wichtigsten europäischen Operettenfestivals, feierten Abraham-Stücke
Triumphe: 1952 „Viktoria und ihr Husar“, 1953 „Die Blume von Hawaii“ und
1955 schließlich „Ball im Savoy“. Jeweils mit dabei: Rosy Barsony, Abrahams
wichtigster Bühnenstar der 1930er-Jahre.
Rosy Barsóny mit Elvio Calderoni 1952 … und mit Enrico Dezan 1955
Magda Gonnella und Elvio Calderoni in „Die Blume von Hawaii“ 1953